Gott löst für immer weniger Menschen noch ihre Probleme. Gott als personales Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten als allmächtiger Herrscher, der in das Weltgeschehen eingreifen oder es, je nach seinem Willen, lassen kann, ist im Zuge der fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Leben und über das Universum nicht mehr glaub-würdig. Er kann immer weniger als Erklärung herhalten für Dinge, auf die man keine Antwort hat. Der theistische Gott, der zugleich Über-Vater ist, hat nichts mehr zu tun. Er ist arbeitslos und stirbt. Die Menschen brauchen ihn nicht mehr. Ihr Bild von sich selbst, ihrer Mitwelt, dem Zusammenhang des Lebens auf der Erde und im gesamten Kosmos, usw. hat sich verändert. Ihre Probleme können anders erklärt werden als mit einem abseits des Lebens sitzenden göttlichen Wesen. Jedenfalls trifft das auf alle zu, die die gewachsenen Erkenntnisse der Wissenschaft ernst nehmen. Gott kann kein Lückenbüßer mehr sein.
Hinter ihm standen Jahrtausende lang auch alle natürlichen Kräfte wie Wind und Sturm, Erdbeben und Tsunamis. Er war dazu bestimmt, zu belohnen und zu bestrafen, zu schützen oder zu vernichten, Gebote zu geben und über deren Einhaltung zu wachen. All diese Vorstellungen sind schon längst nicht mehr glaub-würdig, außer für die, die fundamentalistischen Strömungen der Religionen angehören und dann konsequenterweise auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse ablehnen müss(t)en.
Dies stellt auch John Shelby Spong mutig in seinem Buch „Why Christianity must Change or Die…“ fest – noch während der Zeit seines Bischofsamtes in einer Episkopalkirche der USA . Er verweist darauf, dass bereits Sigmund Freud die eigentliche Ursache für den menschlichen Glauben an ein göttliches allmächtiges Wesen erkannte. In seinem Buch schreibt er:
„Die Geburt der theistischen Religion, so meinte Freud, erwuchs aus dem Trauma des menschlichen Selbstbewusstseins. Über Milliarden Jahre, so beobachtete Freud, hatten die Lebewesen, die diese Erde bewohnten, keine ausreichenden geistigen Fähigkeiten, um die Fragen nach der Bedeutung ihres Lebens zu stellen oder tatsächlich danach zu fragen, ob ihr Leben irgendeine letzte Bedeutung hätte. Sie lebten und starben einfach nach einem endlosen Muster, ohne zu wissen, ob dies ihre Wirklichkeit oder ihre Bestimmung war.
Schließlich entwickelte sich ein Geschöpf mit einem Gehirn, das zur Selbstwahrnehmung, zum Selbstbewusstsein groß genug war, und das die Fähigkeit besaß, über sich selbst hinauszugehen. In diesem Augenblick brach der Schock der Sterblichkeit und der Bedeutungslosigkeit in die Geschichte ein, behauptete Freud.
Jetzt gab es ein Wesen, welches das Sterben vorweg begreifen, das Unglück verstehen und erkennen konnte, dass sein Schicksal nichts mehr als Zerfall ist. Dies war eine traumatische Erkenntnis, und mit dieser Erkenntnis wurde die bestimmbare menschliche Existenz geboren. Wenn ein Trauma intensiv genug ist und man nicht in irgendeiner Weise damit umgehen kann, reagieren die Menschen mit Hysterie. Freud behauptete, dass Religion der Mechanismus war, mit dem die Menschen auf das Trauma des Selbstbewusstseins reagierten. Sie sollte vor allem die Hysterie in Grenzen halten und diesen selbstbewussten Wesen ermöglichen, den Schock ihrer Existenz zu bewältigen.“ (S. 69-70)
Bischof John Shelby Spong lehnt daher auch in seinem Buch jede Form theistischer Religion ab und zieht die Schlussfolgerung, dass das Christentum selbst auch keine Überlebenschance hat, wenn es sich nicht endgültig und bewusst vom theistischen Gott verabschiedet.
Der Abschied vom theistischen Gott hat auch unmittelbare Konsequenzen für das Menschenbild. Gottes- und Menschenbild (Weltbild) sind immer miteinander verbunden. „Wir Menschen leben nicht in Sünde. Wir sind nicht in Sünde geboren. Wir haben es nicht nötig, dass der Makel der Erbsünde in der Taufe von uns abgewaschen wird. Wir sind keine gefallenen Geschöpfe, die ihr Heil verlieren, wenn sie nicht getauft werden.“ (S. 121)
Dennoch verabschiedet sich Spong nicht vom christlichen Glauben. Er will das Gottesbild radikal verändern. Er sieht in Gott den „Urgrund des Seins“, die „Tiefe“ und „Quelle des Lebens“. Christus sieht er als „Geist-Person“. Spong will der Kirche helfen, das „Neue“, Notwendige aufzubauen. Er sieht seine Rolle darin, „Sauerteig“ zu sein, „welcher der Kirche helfen will, sich zu ihrer neuen, zukünftigen Gestalt zu entwickeln.“
Auch dieser Blog und die Seite über eine „Theologie des Lebens“ sieht die Notwendigkeit zum Abschied vom theistischen Gott. Er ist nicht mehr glaubwürdig und gehört in eine Welt, die hierarchisch, patriarchalisch und anthropozentrisch aufgebaut ist. Wir brauchen eine andere Sicht auf diese Welt. Sonst trägt der Glaube nichts dazu bei, die gewaltigen Probleme der Gegenwart und Zukunft anzupacken, die in der Gefährdung des Lebens auf dieser Erde bestehen.
Eine ganz andere Erzählung, der Glaube an die Quelle und Beziehungskraft des Lebens, an die geschaffene und schaffende Lebendigkeit, in der alles miteinander verbunden ist, kann dagegen eine große spirituelle Kraft sein. Wenn es gelingt, diese zu nutzen, wird es leichter sein, noch etwas zur Erhaltung des Lebens beizutragen. Weder ein theistischer Glaube mitsamt apokalyptischer Vorstellungen vom Ende der Welt noch eine mechanistische, kalte Vorstellung vom Leben als sinnlosem Ablauf von Gesetzmäßigkeiten können dazu einen wirkungsvollen Beitrag leisten. Die Erzählung vom „heiligen Leben“ oder der „Mutter Erde“, von der Kraft der Liebe als verbindender Kraft ist dabei nichts Neues. Schon in alten Naturreligionen war sie lebendig. In der Mystik der Religionen steht sie im Zentrum. Sie wurde aber durch die patriarchalen Religionen überlagert und muss heute neu entdeckt und in unsere Zeit mit ihren aktuellen Erkenntnissen über das Leben transformiert werden.
2. Februar 2019 um 11:10
WAS für eine Mutlosigkeit! Da schüttet der gute Spong ja gleich das pan-& polytheistische Kind mit dem Freuch’schen „Bade“ aus. C.G. Jung und Platon wussten es besser! Erst hat der MONOtheismus die esoterische Spiritualität der Antike geächtet. Und jetzt,nicht zuletzt, will er der archetypischen Jehova(Saturn) gleich mit meucheln – was so ja nicht funktioniert….! Nachdem der seine Schreckensherrschaft beenden musste -außer im Islam- weil die Menschen doch immer noch frei sein wollen. Lasst ihn ruhig weiterleben, den nützlichen Rege(l)naufsteller. Im überwiegend friedfertigen Reigen der -jung’schen- Archetypen“Götter“ von http://www.astrologischesabendmahl.de
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28. Oktober 2019 um 21:32
Das klingt für mich nach einer Mischung aus Pantheismus und Schamanismus. Aber nur weil Gott gerade anderswo und sehr beschäftigt ist, müssen wir Ihn nicht gleich sterben lassen oder gar abschaffen.
Viel wichtiger finde ich, wie wir die Texte der Bibel für uns heute in unserer Zeit deuten und in unser Leben integrieren können. Ob wir dafür in die Schwitzhütte müssen?
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21. Oktober 2020 um 19:56
Es geht nicht darum, Gott an sich sterben zu lassen (der Titel ist natürlich provokant gewählt). Es geht um den Wandel der Gottesgestalt. Der theistische Gott als personales Wesen abseits seiner Geschöpfe bestimmt viele Passagen der Bibel. Aber auch hier gibt es andere Gottesgestalten (Licht, Quelle, Ursprung u.a.) Die jeweilige Gottesgestalt entspringt immer menschlicher Wahrnehmung und entspricht dem jeweiligen menschlichen Selbst- und Weltbild. Dies unterliegt einem stetigen Wandel. Weil sich unsere Erkenntnis und unsere Wahrnehmung der Welt und unserer selbst in dieser Welt stark verändert hat, spricht die meisten Menschen heute nicht mehr die theistische Gottesgestalt an. Viele Texte der Bibel beruhen auf einem Weltbild, das wir heute in keiner Weise mehr teilen können. Darum ist es schwierig und vielfach nicht überzeugend, alles für unsere Zeit neu zu interpretieren. Wir werden damit auch nicht den biblischen Autoren gerecht. Manches kann weiterhin transformiert werden, manches aber auch nicht. Hier braucht auch die Kirche den Mut, dies einzugestehen. Die historisch-kritische Forschung an der Bibel kann dabei helfen. Wir müssen sie aber auch konsequent betreiben, auch da, wo kirchliche Dogmen betroffen sind. Wir brauchen einen stärkeren wissenschaftlichen Umgang mit den Bibeltexten, gerade um ihren Wert für unsere Zeit herausarbeiten zu können. Das hat mit Schwitzhütte und Schamanismus nichts zu tun. Empfehlenswert ist in dieser Hinsicht das Buch „Tagebuch der Menschheit – Was die Bibel über unsere Evolution verrät“ vom Evolutionsbiologen Carel van Schaik und dem Historiker Kai Michel.
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19. Mai 2021 um 11:13
Hier ist eine Nachlese, etwa 7 Monate später. Ich habe gerade (gestern) an einer Online-Veranstaltung der Gesellschaft für Glaubensreform teilgenommen. Ja, hier steht eine wahre Herkulesaufgabe an.
Ein Punkt, bei dem ich gern beginne, ist: Die Grenzen unseres Denkens. Wenn wir denken, sprechen wir von „begreifen“. Unsere Art des Denkens ist eine „begriffliche“ Art des Denkens. Wir können uns keinen Raum vorstellen, der nicht begrenzt ist. Es ist für uns ein Abstraktum, wenn wir sagen, der Raum wäre unendlich weit. Wir können uns keine Zeit vorstellen, die nicht begonnen hat und nicht irgendwann endet. Wir können zwar intellektuell formulieren, dass vor dem „Urknall“ NICHTS war. Aber das entzieht sich unserem begrifflichen Denken. Es ist eben nicht für uns „fassbar“. Das bezeichne ich als das „Gefängnis unserer Sinne, in dem wir uns befinden“. Mehr als 100.000 Jahre hat diese Art des Wahrnehmens und Denkens uns geholfen, unsere Art zu erhalten und zu vermehren. Diese spezielle Art des Wahrnehmens und Denkens ist aufs physische Überleben ausgerichtet.
Erhebliche Teile der Bibel sind Texte, die seinerzeit für Menschen einer sehr elementaren Denkungsart verfasst worden sind. Für diese Menschen waren grundlegende Gebote essentielle Leitlinien. Und Gleichnisse, d.h. Bilder, waren die geeignete Form, ihnen abstrakte Zusammenhänge näherzubringen. Damit hier kein Missverständnis entsteht: Ich gehe davon aus, dass es vor 2.000 oder 3.000 Jahren auch Menschen mit besonderen geistigen Fähigkeiten gegeben hat, so wie es heute auch Menschen mit schlichten Gemütern gibt.
Ein transzendenter Gott bzw. Schöpfer – ohne menschliche Gestalt – sozusagen ein transzendentes Schöpfungsprinzip, das jenseits unserer begrifflichen Denkungsweise angesiedelt ist, ist für Menschen per se (eigentlich) nicht denkbar. Dieses „eigentlich“ hat es aber in sich!
Jetzt stehen wir vor dem Dilemma, entweder wir definieren für uns, was wir „begrifflich“ nicht „fassen“ können, ist nicht existent – oder wir überschreiten den „Abgrund des Verstandes“ und akzeptieren transzendente Sachverhalte wie z.B. das „Gott“ ein „transzendentes Schöpfungsprinzip“ ist, mit dem wir auf einer höheren Bewusstseinsebene verbunden sind.
Man kann auch sagen, je nach Ausgangsprämisse kommen wir zu deutlich unterschiedlichen Resultaten: Wir halten uns ausschließlich an die Spielregeln der Naturwissenschaften und stellen fest, dass sich weder eine Seele noch Gott (naturwissenschaftlich) beweisen lassen oder – wir sind bereit, über das begriffliche Denken hinauszugehen und akzeptieren eine abstrakte Gottesvorstellung.
Das scheint mir eine ganz wesentliche Prämisse für eine zielführende Diskussion des Rahmenthemas „Reform des Glaubens“ zu sein. Die „Zielgruppe“ – wir sollten uns in diesem Kontext nicht vor „marketing-speech“ genieren – ist groß und heterogen. Sie ist um vieles differenzierter als zu Luther’s Zeiten. Diese Vielfalt sollte im Auge behalten werden.
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25. Mai 2021 um 4:24
Das „Gefängnis unserer Sinne“ trifft es gut. Wir wissen heute ja, wie alle unsere Fähigkeiten durch eine lange Geschichte der Evolution geprägt sind. Dazu gehören unsere Gefühle und Empfindungen genauso wie die Entwicklung des menschlichen Gehirns mit seinen fantastischen Möglichkeiten, aber auch mit seinen Grenzen. Manchmal steht uns dieses Gehirn bzw. unsere „Gedanken“ ja auch gehörig „im Weg“. Begrenzt sind wir definitiv in der Wahrnehmung, dem Begreifen unserer Welt und der Wirklichkeit. Andere Lebensarten nehmen die eine Wirklichkeit ganz anders wahr, haben zum Beispiel nicht unser begrenztes Zeit- und Raumempfinden. Alles, was wir uns vorstellen und was wir „fassen“ wollen, sind Bilder, die wir konstruieren. Nur mit diesen Konstruktionen halten wir es im Leben auch aus, können wir Sinn „fassen“. Wichtig ist, dass wir uns auf gemeinsame „Bilder“ verständigen können, die uns heute helfen, mit allem Lebendigen achtsam umzugehen und uns als verbundener Teil des Lebens zu verstehen. Damit können wir dann auch anders leben lernen, so, dass wir zur Förderung der Lebensvielfalt und eines für alle gesunden Klimas auf dieser Erde beitragen. Denn nur so wird es eine lebenswerte Zukunft auch der nachwachsenden Generationen geben können.
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31. Mai 2022 um 13:59
Nochmal zu Sandra K. Dass ein Gottes/bild von Zeit zu Zeit „stirbt“ und in gewandelter Form („3 Tage danach“) wieder aufersteht, ist ja gerade „der Clou“ ebenso christlich- wie heidnisch-paganer Spiritualität. Die Bibel gibt gesammelte Moment-Aufnahmen von Gottes/Gött:innen-Bildmetapern aus kulturhistorischer Zeit wieder. Das Jahr Null war vielleicht ein Wendepunkt hin zu mehr mystisch-märchenhafter Sichtweise in „altruistischer Fischemythologie“? Und jetzt, 2000 Jahre danach…? Außerdem, lieber Friedrich, greift mir Freud’s These eines ‚Selbstbewusstseinstrauma der Menschheit als Urgrund der Religion‘ etwas zu kurz(?) Hier mischt Freud möglicherweise seine persönliche, archetypische Biografie mit ein. Sein Ex-Kollege Jung geht da mit dem kollektiv(archetypisch gegliederten) Unbewussten „objektiv“ schon ein paar Schritte weiter. Wenngleich der, was Archetypenastrologie angeht, von der Hochschulpsychologie heftig angegriffen – ja, diffamiert wurde und wird…
Aber insgesamt sehr tolle Gedanken in deinem Blog theologiedeslebens! Insbesonders die von dir auf der HP der GfGR zusammengestellten Hintergrund-Informationen zum Club of Rome und dem Wiki-artikel „MutterErde“ bzgl. Evo Morales
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25. Mai 2021 um 9:59
Ja, die „gemeinsamen Bilder“ sind wesentlich. Ich denke, diese „Bilder“ sind mehr als Bilder. Sie stehen für unser Empfinden und Denken… und dann schließlich für unser Handeln. Dafür sind wir letztlich selbst, ein jeder für sich, verantwortlich – auch wenn der Einfluss der „Medien“ noch so stark ist. Wir selbst müssen uns diese Bilder erschaffen! Da diese Bilder nicht nur aus unseren Herzen heraus erschaffen werden, sondern auch aus unseren Erinnerungen, bewussten wie unbewussten, sollten wir diese „Erinnerungen“ sehr genau prüfen.
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20. Januar 2022 um 2:03
Vielen Dank für diese gute Ergänzung und weitere Ausführung!
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