THEOLOGIE DES LEBENS

Eine neue Erzählung über das Leben, wie wir es erfahren

Alles Lebendige ist Beziehung und sehnt sich nach Liebe

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„Die Natur ist ihrem Wesen nach Religion“, schreibt der katholische Priester und sozialistische Politiker und Dichter Ernesto Cardenal in seinem „Buch der Liebe – Lateinamerikanische Psalmen“. „Der Sternenhimmel ist ein Gebet und jede Landschaft eine Anrufung. Die Grillen sprechen zu uns genauso von Gott wie die Sterne, und Grillen wie Sterne schreien uns in die Ohren, dass Er sie schuf. Das ganze Weltall wartet auf seine Wiedervereinigung mit Gott. aus dem es hervorging. Fern von Gott sind alle Dinge wie zerstreut und suchen deshalb die Vereinigung mit anderen Dingen. Das Gesetz der Liebe ist das einzige physische und biologische Gesetz des Universums und auch das einzige moralische Gesetz. („Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr eure Nächsten liebet, wie ich euch geliebet habe.“)“

Ernesto Cardenal weist damit auf die Grundstruktur wie die Hauptantriebskraft im Kosmos und allem Lebendigen hin: ein durch den Geist der Liebe durchwirktes Beziehungsnetz. Alles Leben ist Beziehung und sucht Beziehung. Nichts kann allein für sich existieren. Alles ist getragen vom Geist der Beziehung zwischen „Ich“ und „Du“. Diese Grundstruktur hat niemand so klar und ausdrucksstark beschrieben wie der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber: “ „Es gibt kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich-Du und das Ich des Grundworts Ich-Es. “ Und: “ Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du.“ (In „Ich und Du“, 1923)

In der christlichen Bibel findet man verschiedene zentrale Aussagen, die dies schon vor 2000 Jahren unterstreichen: „Im Anfang war Geist… Alles ist durch Geist entstanden. … Und er kam in seine eigene Schöpfung.“ (Joh. 1) Und: „Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1. Joh. 4,16). Im 1. Korintherbrief preist Paulus die Liebe als die entscheidende Ausichtung des Lebens: „…Hätte ich der Liebe nicht, so wäre mir nichts zunütze.“ Und: „Die Liebe hört niemals auf…“ (1. Kor. 13). Befreit man diese biblischen Aussagen von ihrem Anthropozentrismus und überträgt ihren Kern konsequent auf die kosmische Dimension des Lebens, dann führt dies zu einer Sichtweise und Spiritualität, die unser Leben inspiriert und bereichert. Diese Erzählung vom Leben, das Verbundenheit und Vereinigung auf allen Ebenen des Daseins sucht und sich danach sehnt, hat die bedrohte Welt nötiger denn je.

Autor: theologiedeslebens

Ev. Pfarrer in Dortmund

6 Kommentare zu “Alles Lebendige ist Beziehung und sehnt sich nach Liebe

  1. Gibt es eine „neue“, angepasste Schöpfungserzählung, die dieser Sichtweise entspricht? Im Zusammenhang der Umwelt-Bewegung (Club of Rome …) heißt es ja immer: “ Wir brauchen eine neue Erzählung …“ – gibt es so etwas schon, was sich auch religionspädagogisch benutzen lässt?

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    • Die „neue“ Schöpfungserzählung gibt es in verschiedenen Ausprägungen bereits bei alten indigen Völkern. Sie bildet sich heute neu heraus aus dem nie ganz verloren gegangenen Wissen um die Verbundenheit des Lebens angesichts der Bedrohung des „lebendigen Planeten“. So heißt es in der „Erklärung der Weltkonferenz zum Klimawandel und der Rechte der Mutter Erde“ 2010 in Cochabamba/ Bolivien“ u.a.:
      „Um dem Klimawandel entgegenzutreten, müssen wir die Mutter Erde als Quelle des Lebens anerkennen und ein neues System herausbilden, das sich auf die Prinzipien gründet: Harmonie und Gleichgewicht unter allen und mit allem; Komplementarität, Solidarität und Gleichheit; kollektives Wohlergehen und Befriedigung der Grundbedürfnisse aller in Harmonie mit der Mutter Erde; Achtung der Rechte der Mutter Erde und der Menschenrechte; Anerkennung des Menschen für das, was er ist, nicht für das, was er hat; Beseitigung jeder Form von Kolonialismus, Imperialismus und Interventionismus; Frieden zwischen den Völkern und mit der Mutter Erde.“
      (https://amerika21.de/hintergrund/2010/cochab-92637-erklaerung ).
      Und in dem „Bündnis der Völker zum gegenseitigen Schutz und Schutz der Mutter Erde“, 2015 von Weltbürger*innen und Aktivist*innen in Paris deklariert, heißt es u.a.:
      „Bündnis für die Erde – Terra Viva, Erd-Demokratie – Ein Bündnis der Völker zum gegenseitigen Schutz und zum Schutz der Erde.
      Die Menschheit steht am Rande des Abgrunds. Wir haben den Planeten, dessen biologische Vielfalt, Wasser und das Klima zerstört, und damit auch den ökologischen Kontext für unser Überleben als Spezies. …
      Wir müssen die Saat des Friedens säen – Frieden mit der Erde und miteinander, denn daraus sprießt die Hoffnung für unsere Zukunft als eine Menschheit und als Teil einer Welt-Gemeinschaft.“
      (https://seedfreedom.info/de/campaign/pakt-fur-die-erde/ ).
      In beiden Erklärungen steckt die „neue“ Erzählung, die sowohl eine Bildungsaufgabe ist wie eine Verpflichtung, Wirtschaft und Politik, Gesellschaft und Kultur in weiten Teilen der Welt „umzubauen“.

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    • Die neue Schöpfungserzählung deutet sich bei Papst Franziskus in seiner Enzyklika „LAUDATO SI“ an.
      (siehe Text hier: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html )
      So finden sich hier Aussagen wie:
      „In diesem Universum, das aus offenen Systemen gebildet ist, die miteinander in Kommunikation treten, können wir unzählige Formen von Beziehung und Beteiligung entdecken. Das führt zu dem Gedanken, dass auch die Gesamtheit offen ist für die Transzendenz Gottes, in der sie sich entfaltet.“(Art. 79)
      „Gott hat ein kostbares Buch geschrieben, dessen `Buchstaben von der Vielzahl der im Universum vertretenen Geschöpfe gebildet werden`“. (Art. 85)
      „Das Ziel des Laufs des Universum liegt in der Fülle Gottes, die durch den auferstandenen Christus – den Angelpunkt des universalen Reifungsprozesses – schon erreicht worden ist. So fügen wir ein weiteres Argument hinzu, um jede despotische und verantwortungslose Herrschaft des Menschen über die anderen Geschöpfe abzulehnen. Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir. Doch alle gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist, in einer transzendenten Fülle, wo der auferstandene Christus alles umgreift und erleuchtet.“ (Art. 83)
      So kann der Papst auch von dem „Christus für die Erde“ sprechen. In Berufung auf seinen Namensgeber, Franz von Assisi, ist dies auch konsequent. Allerdings hält Franziskus die „neue“ Erzählung in der Gleichwertigkeit und „Geschwisterlichkeit“ (Franz von Assisi) allen Lebens nicht durch, wie sie bei Albert Schweitzer beispielsweise stärker akzentuiert wird . So betont er durchgehend auch die klare Vorrangstellung des Menschen. „Denn der Mensch, der mit Intelligenz und Liebe begabt ist und durch die Fülle Christi angezogen wird, ist berufen, alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer zurückzuführen.“ (Art. 83 am Ende).
      An Stelle einer Voranstellung und Herausgehobenheit des Menschen gegenüber der nicht-menschlichen Schöpfung müsste meinem Verständnis nach von besonderen individuellen Wahrnehmungen und Begabungen jeder Lebensart in einer neuen Erzählung gesprochen werden. Dann muss auch mit dem Alleinstellungsmerkmal des Menschen als „Ebenbild“ Gottes (Genesis 1,26) gebrochen werden. Der Papst sieht in der Ebenbild-Aussage aber die besondere „unermessliche Würde jedes Menschen“ betont. Die heißt im Umkehrschluss ja, dass dies für alle anderen Geschöpfe, da sie ja laut biblischer Aussage nicht „Ebenbild“ sind, zumindest nur eingeschränkt gilt. (vgl. Art. 65).
      Eine neue Erzählung von der „Mutter Erde“, wie sie im neuen Bericht des Club of Rome (2017) eingefordert wird, würde aber, ohne die Mutter selbst zu „vergöttlichen“, die Geschwisterlichkeit aller Lebensarten betonen.

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  2. Frage mich ob es nicht ein Ausdruck der zitierten Liebe ist, als Mensch auch eine besondere Fürsorge für die Erde zu übernehmen: nach Jahren der Ausbeutung sich selber neu einzuüben in das Lebensnetz der aufeinanderbezogenen und geschaffenen Lebewesen. War es schädlich, sich als etwas Besonders zu verstehen? Jedenfalls war es schädlich sich aus dem Beziehungsgeflecht des Lebendigen in egozentrischer und habgieriger Weise rauszulösen, oft ohne wahrzuznehmen, was die Folgen sind. Jetzt in dieser Phase des Anthopozäns bekommt der Mensch vielleicht die (letzte)Chance, die altruisitische Seite seiner vorhandenen Liebesfähigkeit unter Beweis stellen zu müssen – um nicht unterzugehen. Möge die Krise eine Chance sein und unsere demütige Haltung hierin mal ein gutes Beispiel für die Nachwelt!

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    • Als etwas Besonderes erleben wir uns, denke ich, zwangsläufig. Wir sind es ja auch mit unseren speziellen Begabungen, Fähigkeiten, Wahrnehmungen, unserer Spiritualität, Liebesfähigkeit und Kreativität. Auch mit unserem besonderen Bewusstsein und der Fähigkeit, nach dem Sinn des Lebens zu fragen und zu zweifeln.
      Allerdings ist jedes Geschöpf in diesem Sinne etwas Besonderes und Einmaliges – auf seine Weise. Schwierig ist es, wenn wir etwas als „höher, weiter, besser“ etwas anderes als „niedriger, schlechter“ bewerten und daraus alleinige Ansprüche des „Höheren“ gegenüber dem „Niedrigeren“ ziehen. Wir können mit unserem Verstand (dem Kopf) vielleicht nicht anders. Da bedarf es der Erdung durch unser Herz, das die Verbundenheit auf einer Ebene sucht, um dort die Bereicherung zu finden.

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    • Deine Antwort gefällt mir gut! Auch der Mensch hat spezifische Begabungen, „Liebe“ zu leben und Fürsorge nicht nur für sich, sondern für Leben außerhalb seiner Art zu übernehmen. In besonderer Weise kann er Zusammenhänge im Beziehungsgeflecht allen Lebens auf der Erde „durchdenken“ und „erkennen“. Verbindet er dies mit seinem Mitgefühl und der „Ehrfurcht vor allem Leben“, kommen also „Kopf“ und „Herz“ zusammen, dann kann er daraus Auswege aus der Krise entwickeln.

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